Klaus Hinrich Stahmer

Gerettete Blätter für Violine solo (2011)

Besetzung: Violine
Violine
Dauer (h:m:s): 00:07:00
Geheftet
Format: 21 x 29,7 cm
Seiten: 12
Gewicht: 53 g
Verlag Neue Musik / NM1558
ISMN: 9790203220008
ISBN: 9783733311292

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Das Prinzip der Collage bestimmt das Stück Gerettete Blätter: Wie aus größerem Zusammenhang herausgerissen stehen musikalische Gedankensplitter nebeneinander. Mir kam beim Komponieren ein Bild vor Augen: In einem Aschenhaufen entdeckt und behutsam daraus hervorgezogen, erwiesen sich ein paar verkohlte Notenblätter bei näherer Prüfung als Überbleibsel einer vor längerer Zeit aufgeschrieben Musik.
Von wem mochten sie stammten? Teilweise nur mit Mühe lesbar, schienen mir die Fragmente in vielen Details und selbst noch in kleinsten Partikeln wie Zeugnisse einer vergangenen Musik. Erinnerungen wurden wach: Die Spuren führten in die Zeit der Bücherverbrennung und der Lager. Von mir gewissermaßen nur noch konserviert und in eine Reihenfolge gebracht, lösten die Fragmente einfühlsam hörendes Nachsinnen aus, ganz als hätte ich sie nur durch Einschübe und assoziativ gewonnene Elemente zu ergänzen und in einen formalen Rahmen einzufügen. Teilweise
handelt es sich wirklich um Anleihen aus Solowerken von Komponisten, die von den Nazis als „entartet“ verunglimpft worden waren – kleine und kleinste von Erwin Schulhoff , Paul Ben-Haim, Abel Ehrlich, Paul Hindemith, Karl Amadeus Hartmann und Béla Bartòk geschaffene Partikel – alle übrigen musikalischen Gedanken klingen indessen nur wie Zitate. Aus der Erinnerung an die politisch Ausgegrenzten und in den Lagern Umgekommenen heraus bin ich in einen Tonfall verfallen, der wie Musik aus anderer Zeit klingt. Es gehört zu den Grundprinzipien der Komposition, dass der musikalische Gestus häufig wechselt. Allerdings wird die Vielfalt der Gedanken durch eine dreiteilige Großform zusammen gehalten, die von zwei nachdenklichen Eckteilen im ruhigen Zeitmaß
gebildet wird und in deren Mitte ein furioses Presto lugubre (Come una chimera nera) mit seiner maschinenartigen Motorik und frivolen Geschäftigkeit an die Beflissenheit der bei der Bücherverbrennung beteiligten Erfüllungsgehilfen zu erinnern versucht. Das Stück ist ein Appell gegen den Ungeist der Bücherverbrennung. Die spieltechnische Einrichtung übernahm freundlicherweise Herwig Zack.

Klaus Hinrich Stahmer